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Wie kommt das Neue in die Welt? Wie entstehen neue Theorien in den Naturwissenschaften? Und wie technische Innovationen? Wie kommt es, dass das Leben sich im Zuge der Evolution immer wieder „neu erfindet“? Und wie zeigt sich „das Neue“ in der Geschichte der Kunst? Wie können sich Organisationen immer wieder an neue Situationen anpassen? Das Forum St. Stephan diskutierte Fragen wie diese im Rahmen der Gesprächswoche 2019 mit der ihm eigenen Offenheit über alle disziplinären Grenzen hinweg.

Impressionen von der Gesprächswoche 2019 in St. Georgen am Längsee

Das Neue nimmt zuweilen flutartige Ausmaße an: Die Zahl der bekannten chemischen Verbindungen steigt exponentiell an, die jährliche Zuwachsrate beträgt 4,4 Prozent der bisher bekannten Substanzen, wie Wolfgang Kautek, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Wien, vor Augen stellte. Welche Leitlinien verfolgen die Forscher, wenn Sie an solchen Innovationen arbeiten?

Wolfgang Kautek

Sollen Chemiker z.B. die ganze kombinatorische Vielfalt, die sich aus ihrem Wissensfundus ergibt, nutzen, wenn darum geht, neue Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu schaffen? Oder sollen sie darauf achten, dass bestimmte Elemente ein hohes Versorgungsrisiko tragen oder ihre Gewinnung bestehende politische Konflikte noch weiter verschärfen könnte? Aber politische Verhältnisse können sich ja ändern, wird Kautek in der Diskussion entgegengehalten – ist es dann nachhaltig gedacht, ein technisch gut geeignetes Element aus ethischen Erwägungen nicht einzusetzen?

Findet Innovation in Unternehmen statt, kommen zu den gesellschaftlichen auch betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen hinzu. Peter Steinrück war über Jahrzehnte für Innovationsprozesse in einem solchen Umfeld verantwortlich und berichtete über seine Erfahrungen.

Peter Steinrück

Ein Industrieunternehmen mit technischer Kernkompetenz muss sich, um langfristig erfolgreich zu sein, immer wieder neu zu erfinden, dabei aber auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Steinrück hat die Erfahrung gemacht, dass es in einem Entwicklungsteam Menschen geben muss, die bereit sind, alles Gewohnte radikal in Frage zu stellen, aber auch ein Management, das diesen Menschen eine Richtung gibt, weil es die Anforderungen der Kunden genau verstanden hat.

Angeregte Diskussionen

Und die großen Neuerer früherer Jahrhunderte, wird in der Diskussion gefragt, waren das einzelne Genies oder folgten sie etwas, was „an der Zeit“ war? Aber ist es nicht auch eine beachtliche Leistung, etwas als erster klar auszusprechen und sein Handeln danach zu richten?

Gibt es diese radikalen Neuerer auch in der Kunst? Giotto war ein solcher, wie Gustav Schörghofer, Kunsthistoriker, Priester und kirchlicher Assistent des Forum St. Stephan darlegte.

Gustav Schörghofer

Er schuf im 14. Jahrhundert als erster „das Bild“ als eine gerahmte, in sich geschlossene Fläche, in der alle Elemente aufeinander bezogen sind. 500 Jahre lang blieb dieses Paradigma gültig, dann bricht die geschlossene Welt in sich zusammen. Der Blick der Künstler wendet sich nun dorthin, wo bisher nicht hingesehen wurde: in die Leere, in die Felder von Gefährdung und Zerstörung. Und wieder die Frage: Hängen die Umbrüche in der Kunst mit Veränderungen der Gesamtkultur zusammen? Gibt es dahinter eine „größere Bewegung des Geistes“? Das, was Kunst heute ausmacht, so Schörghofer, hat im Kern etwas Christliches: Im Abfall das Schöne zu finden, so wie im Gekreuzigten das Leben.

Wie entsteht demgegenüber Neues in der Evolution des Lebens? Darauf lenkte Magdalena Steinrück, Molekularbiologin und Wissenschaftskommunikatorin am IST Austria den Blick.

Magdalena Steinrück

In der biologischen Evolution, so Steinrück, gibt es keinen Erfindergeist, nur Schlamperei, die sich manchmal als Vorteil herausstellt. Und es gibt Grenzen, die dem Geschehen einen Rahmen geben: Physikalisch-chemische Gesetze und genetische Einschränkungen. Dennoch treten manchmal „major transitions“ auf, sprunghafte Zuwächse der Komplexität, die lange Phasen kontinuierlicher Anpassung durchbrechen. Das warf viele Fragen auf: Kommen in der Entwicklung von menschlichen Kulturen neue Mechanismen zum Tragen? Nehmen wir durch medizinischen Eingriff Einfluss auf die Evolution? Ist alles Zufall oder gibt es eine Richtung, in die die Entwicklung zielt? Steinrück verneinte dies: Eine Richtung nimmt die Evolution nicht, sondern viele Richtungen gleichzeitig.

In den „Geisteswissenschaften“ haben digitale Technologien viel Neues gebracht, wie Wolfgang Göderle vom Institut für Geschichte der Universität Graz erläuterte: als Ressource und Werkzeug für die Forschung, als Herausforderung für den akademischen Arbeitsalltag. Digitalisierung als historischer Prozess wird aber auch zum Forschungsgegenstand und zum Lehrziel, auf das hin Studierende vorbereitet werden sollen.

Theologen und Techniker, Natur- und Geisteswissenschaftler miteinander im Gespräch

Aber sind die akademischen Einrichtungen dafür in geeigneter Weise ausgestattet, wurde in der Diskussion gefragt? Und führt die Privatisierung der Datenhaltung dazu, dass sie durch staatliches Recht immer schlechter kontrolliert werden kann?

Wie eine neue Theorie in der Physik entsteht, darauf gingen Reinhart Kögerler und Peter Aichelburg, ein Teilchenphysiker und ein Gravitationsphysiker ein. Auch in den empirischen Wissenschaften seien, um eine Theorie zu formulieren, Annahmen erforderlich, die selbst nicht an Beobachtungen überprüfbar sind.

Peter Aichelburg

Kann die mathematische Struktur einer Theorie dann überhaupt falsifiziert werden? Oder gibt es nur mehr oder und weniger taugliche Theorien? Warum war gerade bei Kopernikus oder Einstein die Zeit reif für einen radikalen Wandel? Zeigt sich auch hier ein mit anderen Veränderungen zusammenhängendes Muster?

Leo Stieger, der viele Jahre ein Personalentwicklungsunternehmen geleitet hat, führte noch einmal zurück in die Welt der Wirtschaft. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Change-Prozesse nur dann gelingen, wenn man die Mitarbeiter einer Organisation einbindet und ihr Fachwissen nutzt.

Leo Stieger

Um eine Verhaltensänderung zu bewirken, die einer langfristigen Vision folgt, müssten vor allem die Führungskräfte für die Sache gewonnen werden. Am besten gelingt dies, wenn man zuerst die Warum- und dann erst die Wie-Frage stellt. Hat sich das Profil eines Managers verändert, wird Stieger gefragt. Der „schreiende Chef“ sei heute kaum mehr zu finden, Führungskraft sei, wer die anderen dazu bringt, einen Weg mitzugehen, so Stieger.

Nachhaltige Verhaltensänderung ist auch angesichts von Klimawandel und Bedrohung der Biodiversität gefordert. Im Rahmen der Gesprächswoche 2019 bildete sich eine Gruppe, die das im Forum St. Stephan zum Thema einer transdisziplinären Diskussion machen will – mehr dazu in Kürze...

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